EM 2019 Sonderborg

Ostseecup Niendorf. Ostsee

12.08 - 13.08.2017

Ich war noch niemals in Niendorf

 

„…ich auch nicht“ antwortet die junge sympathische Stimme von Henrik am anderen Ende.

Kaum eine  Stunde war vergangen seit ich mein Stellengesuch für den Ostsee-Cup bei der 505er-Googlegroup eingestellt hatte und schon war ich unter Vertrag:  super, endlich mal wieder eine schöne Regatta in Aussicht.  Allerdings hatten weder Henrik noch ich zu diesem Zeitpunkt ein Gesicht zu dem Namen des jeweils anderen vor Augen, ein echtes „Blind Date“ also.  Abgesehen von der Tatsache dass wir uns nicht gleich erkennen sollten hielt ich die Risiken dieser Konstellation für überschaubar.  Segler im Allgemeinen (und Fiven-Segler  natürlich im Besonderen) sind durchweg nette Typen und das sollte sich auch hier wieder auf sehr angenehme Weise bewahrheiten.  

Meine kribbelnde Vorfreude auf ein sonnig-entspanntes Ostseewochenende schwand allerdings zusehends bei meiner Ankunft am Freitagabend in Niendorf.                                                                      Die Zahl auf der Außentemperaturanzeige hätte einem kühlen Abend im Spätherbst zur Ehre gereicht und meine Scheibenwischer hatten auf dem Weg hierher bereits Schwerstarbeit geleistet und ackerten immer noch fleißig.  Wenigstens der versprochene Wind war da und hatte die Straßen menschenleer gefegt. Nicht weggefegt hatte er die für einen Ort dieser Größe rekordverdächtige Anzahl an Halte- und Parkverbotsschildern. Die restlichen paar Quadratmeter potenziellen Parkraums werden eifersüchtig durch gierige Parkuhren bewacht, die mit Sicherheit schon die eine oder andere Privatinsolvenz verursacht haben.

Aber das war doch kein Problem für mich: auf dem großzügigen Clubgelände gibt es bestimmt jede Menge Platz für die rollenden Notunterkünfte der Teilnehmer. Tatsächlich stand ich nach kurzem Suchen und Rangieren mit dem Bus auch direkt vor dem Eingangsportal des charmanten Clubgebäudes, war mir dabei aber nicht so recht sicher, ob das tatsächlich auch so gedacht sein sollte.

Die nächste kurze Regenpause nutzte ich für einen ersten Erkundungsgang im Schummerlicht des wolkenverhangenen Abends. Seltsame Geräusche vom Strand her machten mich neugierig.             Das war ja toll: ein Freilichtkino für Pinguine! Bei näherer Betrachtung entpuppten sich die vermeintlichen Pinguine dann allerdings als in dicke Decken eingewickelte Touristen, denen bei diesem Sauwetter ein unsynchronisierter indischer Film vorgeführt wurde, dessen Handlung ausgerechnet an einem warmen sonnigen Karibikstrand spielt. Aus der angegliederten Strandbar wurden die Pinguine mit größeren Mengen  einer schwer zu definierenden Flüssigkeit versorgt, was wohl beides für sie erträglicher machen sollte: den Film und das Wetter.

Ein aufkommendes Hungergefühl und der nächste Regenschauer trieben mich direkt unter den Sonnenschirm des nächsten Selbstbedienungsfischrestaurants. Meine Wahl fiel auf Matjes dreierlei Art. Laut Beschreibung sollte mindestens eine Art davon mild sein. Welche das sein sollte habe ich bis zum Schluss nicht herausgefunden. Die Bezeichnung Salzhering wäre treffender gewesen.  Auf der verzweifelten Suche nach Löschwasser gegen das aufkommende peinigende Durstgefühl, sind mir dann doch noch einige bekannte Fivensegler über den Weg gelaufen. Jetzt erfuhr ich auch von dem Parkplatz, der extra für uns in einiger Entfernung vom Club reserviert worden war. Top-Favorit Alexander steuerte unsere kleine Gruppe zielsicher an einen Kiosk dessen Marketing den Platz drum herum mit unzähligen Weinflaschen der Marke „Hafenliebe“  liebevoll dekoriert hatte. Das wirkte: Alexander verliebte sich auf Anhieb unsterblich in eine dieser Flaschen, wollte seine neue Liebe aber unbedingt mit jemandem teilen. Aufmachung, Farbe und Positionierung dieser Tinktur  ließen die schlimmsten Ahnungen in mir aufsteigen aber vom Hering geschwächt fiel meine Gegenwehr wohl eine Spur weniger heftig aus, als die von Christina und Oliver. Zum Glück wurde der Kiosk kurz nach unserer ersten Bestellung geschlossen, so dass die Nachschubwege rechtzeitig abgeschnitten waren und Schlimmeres verhindert werden konnte.

Der besagte Parkplatz war im Dunkeln dank seiner Flutlichtbeleuchtung leicht zu finden. Vermutlich hat die Gemeinde bei der Errichtung aus Kostengründen auf ausgediente Flakscheinwerfer zurückgegriffen. Dank des Geldsegens aus den Parkuhren kann man die Dinger inzwischen die ganze Nacht durch brennen lassen, was eigentlich auch nur stört, wenn man auf diesem Parkplatz übernachten möchte. Ich bin mir sicher, der Produzent von Ennos Augenklappen hat hier die entscheidende Inspiration zu seiner bahnbrechenden Erfindung erhalten.

Als mir der Blick auf die Uhr verriet, dass jetzt die echte Sonne wieder scheinen müsste verlangten Heringe und Hafenliebe auch schon mit großem Nachdruck ihre Freiheit zurück. Der Parkplatz bot für Verrichtungen dieser Art nur sehr lückenhafte Deckung und das nächste öffentliche WC befindet sich in sportlich anspruchsvoller Entfernung. Ich hatte also die Wahl zwischen einer Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, einem 500-Meter-Wettlauf im Trippelschritt gegen meinen eigenen Schließmuskel oder Olivers Tankeinfüllstutzen.

Keine Panik Oliver! Ich habe mich für den Wettlauf entschieden und ihn knapp gewonnen.              Sehr knapp!

Nachdem ich mich kurz zur Morgentoilette in der Ostsee ein wenig aufgewärmt hatte ging es erwartungsfroh ab in den Club. Dort bekamen wir zum ersten Mal die volle Wucht der  legendären Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Mitglieder des SGJ zu spüren und ein üppiges Frühstück serviert. Das übliche Gewusel aus Begrüßung, Anmeldung  und Briefing wurde von den Organisatoren sehr routiniert und mit typisch norddeutschem Humor und Gelassenheit abgespult. Besonders wertvoll für Revierneulinge: die detaillierten Hinweise zu den einzelnen Slip-varianten. Unter den am Samstag vorherrschenden Windbedingungen (4-5 Bft.) waren die meisten hier schon das erste Mal gefordert.  Vorläufiges Resümee: ein gelegentliches Training der Bootsbeherrschung ohne Ruder kann zweckdienlich sein.

Ungewohntes Boot und eine Crew, die noch nie zusammen gesegelt ist: bei dieser Mischung  geht selten alles gut. Auch Henrik und ich belegten diese Erfahrung brav ein weiteres Mal. Als wir beim Ablegen nach endloser Torkelei und einigen Pirouetten endlich genug Wasser unterm Schiff und das Ruder drin hatten war die Großschot raus - gut, kein großes Problem!  Spi-Schleuder falsch eingebunden – passiert ständig, Routine! Der wirkungslose Mastcontroller musste da schon etwas länger, genaugenommen bis zum ersten Zieldurchgang auf seine erfolgreiche Reparatur warten …  und der Spi?? Ja, warum zum Teufel geht dieser verdammte  Spi  soooo schwer rein und raus? Dieses Rätsel war das schwierigste und hat uns Nerven und einige Plätze gekostet. Aber zum Glück hatten wir uns ja vorher ausdrücklich gegenseitig versichert das wir hier nur Spaß haben wollen und uns Platzierungen überhaupt nicht interessieren.  Nachdem der Steuermann kurz vor der dritten Wettfahrt heldenhaft auch das Spi-Problem mit inzwischen blutigen Händen gelöst hatte, war auch der Rest der Mannschaft deutlich gelöster zumal wir bei den Manövern und der Kommunikation ebenfalls Fortschritte zu verzeichnen glaubten. Unsere 170kg Kampfgewicht leisteten bei zunehmend auffrischenden Westwind gute Dienste. Am Ende des Tages hatte die Wettfahrtleitung drei sehr schöne saubere und gut getimte Wettfahrten für FD’s und die 505er bei anspruchsvollen Bedingungen durchgezogen.

Nächster Höhepunkt an diesem Samstag:  Slippen Teil 2! Die Boote die es bis ins Wasser reingeschafft hatten, mussten ja auch irgendwie wieder raus. Im Nachhinein wäre ich in diesem Moment lieber einer der ungläubig glotzenden Touristenpinguine gewesen, aber dafür war es zu spät. Dabei hatten wir so einen guten Plan: als das leicht gefierte Schwert anfing Grundberührung zu signalisieren, wurde folgerichtig das Ruder in Sicherheit gebracht und der Vorschoter über Bord geworfen, damit er das Boot die restlichen 150 Meter zu Fuß an Land ziehen möge. Also zottelte ich brav mit meinem schwimmenden Marschgepäck im Schlepp los in Richtung Strand. Als mir das anfangs brusthohe Wasser nach wenigen Metern ungefähr bis zur Oberkante der Ohren reichte dämmerte mir, dass der Plan vielleicht einen kleinen Haken haben könnte. Dummerweise hatte ich Schnorchel und Bleischuhe zu Hause gelassen. Jedenfalls hatten wir die volle Aufmerksamkeit der Pinguine als wir wenig später beide schwimmend versuchten, die Schleppleine mit dem Boot am anderen Ende zwischen den Zähnen, das rettende Ufer zu erreichen. Mit unserer unfreiwilligen Showeinlage konnten wir die Aufmerksamkeit des Publikums aber nur so lange auf uns lenken, bis Karsten und Josef uns mit einer sehr viel spektakuläreren Variante der Anlandung den Rang abliefen. Aber das sollten sie mal lieber selber erzählen…

Für so viel Aufregung  wurden wir abends mit einem ausgesprochen reichhaltigen und schmackhaften Barbecue in ausgelassener Runde mehr als belohnt. Danke nochmal an die vielen fleißigen Hände die uns während der ganzen Zeit kulinarisch derart verwöhnt haben!

Am nächsten Morgen bekamen wir etwas sehr Seltenes zu sehen: die Sonne!

Der Wind hatte im Vergleich zum Vortag etwas nachgelassen (3 Bft.) wurde dafür aber in Stärke und Richtung etwas unbeständiger. Wir hatten jetzt ein vollständig funktionstüchtiges Boot unter dem Hintern und ein weiteres köstliches Frühstück in der Gegend kurz über diesem Körperteil. Beides schien sehr motivierend zu sein. Nach einem Bilderbuchstart gelang es selbst mir nicht mehr so recht, diesen Vorteil im Verlauf des Rennens wieder zu Nichte zu machen. Mit dem besten unserer Einzelergebnisse im Rücken spulten wir nach kurzer Startverschiebung  entspannt die letzte Wettfahrt ab und auch das Anlegemanöver klappte diesmal zur Enttäuschung der zahlreichen, erwartungsfroh am Strand versammelten Pinguine völlig unspektakulär. 

Über Nacht hatte Henrik scheinbar viel darüber nachgedacht, wie man ein Boot einfacher  durch den tiefen Zuckersand auf die höhergelegene Promenade bugsieren könnte. Die Lösung: man segelt! Der Schotte hält ausreichend Druck in den Segeln und fährt das Boot schön aufrecht, während der Steuermann den Slipwagen steuert (bei gutem Trimm reichen zwei Finger).

Leider konnten wir mit diesem Kunststück keine Plätze mehr gut machen, wurden bei der anschließenden Siegerehrung aber trotzdem, wie alle Teilnehmer übrigens, mit Sachpreisen der Sponsoren überhäuft. Dickes Dankeschön an dieser Stelle an die Spender und jene die Ihnen diese Dinge entlockt haben!

Karsten behauptete hinterher noch keck, dass wir auf Grund unseres Endergebnisses zur Verfassung eines Regattaberichtes verpflichtet wären. Inzwischen schwant mir, dass er das genauso vehement behauptet hätte, wenn wir Dritter oder Achter geworden wären. Aber egal, er und seine aufopferungsvollen Mitstreiterinnen und Mitstreiter incl. Wettfahrtleitung und Streckenposten haben einen tollen Job gemacht und uns eine großartige Veranstaltung geboten, die alle Mühe wert ist. Das exakte Zahlenwerk kann jeder Interessierte an den bekannten Stellen einsehen und studieren.

So, jetzt waren wir also mal in Niendorf. Eins steht fest:  ihr seht uns wieder und jedem anderen sei diese Regatta wärmstens empfohlen!

Enten waren übrigens keine da, nur Pinguine, Pinguine, Pinguine …   

 

Henrik Schade & Martin Lietz

                  GER 8849